Wie ich da angekommen bin, wo ich heute stehe – ein Rückblick

In meiner Familie bin ich der älteste von fünf Brüdern und hatte schon immer Ideen im Kopf, mit denen ich meine Brötchen verdienen wollte. Einmal beispielsweise druckte ich für unseren Stadtteil 400 Flyer aus, auf denen ich einen Frühstücks-Service anbot: Für einen kleinen Unkostenbetrag würde ich morgens aufstehen und die Bäckers-Bestellungen der Leute ausführen, die bis zum Vorabend eingegangen waren. Die Conversion-Rate war sehr gering. Sie lag genau bei 0,0%.

Meine Ferienjobs

Im Alter von 14 machte ich meinen ersten Ferienjob in einem städtischen Betrieb, der mir schnell auf den Keks ging. Es war schmutzig, laut und stupide. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie die Männer das tagein, tagaus ihr Leben lang machen würden. Doch sie schienen sich dort geradezu wohl zu fühlen, nahmen jede Aufgabe, die von der Zentrale kam, als eine Lebensaufgabe an und standen leidenschaftlich dahinter. Das bewunderte ich, verstand es aber nicht.

Ein Jahr später stand ich hinter der Reklamationstheke vom MediaMarkt und nahm defekte Geräte entgegen. Dazwischen räumte ich das Lager auf und gab weiße Ware aus. Herr Müller und Herr Maier (was deren wirkliche Namen sind) waren sehr zufrieden mit mir und waren traurig als sie erfuhren, dass der neue Chef mich entlassen hatte, weil man sparen musste. So ging es weiter zu einem großen deutschen Brotproduzenten, bei dem ich die Pfingstferien 2002 verbrachte.

Es war die bis dato schwerste Arbeit, die ich gemacht hatte. Sie bestand eigentlich nur darin, jede Minute Brot zu stapeln. Ich stapelte jeden Tag 32 Tonnen Brot auf Euro-Paletten. Am ersten Tag nach dem Job saß ich heulend auf meinem Schaukelstuhl, weil mir mein Rücken so weh tat. Ich schimpfte und fluchte und wollte keinen weiteren Tag mehr dort als Sklave herhalten. Ich bemitleidete die Leute, die dort arbeiteten. Das erste was ich am nächsten Morgen tat, war eine Gehaltserhöhung für die Knochenarbeit einzufordern. Achselzuckend sagte der Chef, dass es für Ferienarbeiter nur diesen Standardbetrag gab. Ich stapelte also missmutig weiter.

Das Umdenken

In dieser Not fragte ich mich, was das eigentlich soll. Erst vor 4 Jahren hatte ich einen PC bekommen, kurz vor Weihnachten 1998 und hatte mich damit beachtlich schnell gut entwickelt. Bis dahin wurde ich stets verlacht, weil wir weder Fernseher noch Tageszeitung noch Computer besaßen. Ja, nicht einmal einen CD-Player hatten wir im Haus, von einem schnurlosen Telefon ganz zu schweigen. Ich war das multimedial schlecht ausgestattetste Geschöpf auf dieser Erde – so kam ich mir zumindest vor, wenn ich mich mit meinen Freunden unterhielt (wie anders es doch heute ist…). Da ich dies meinen Eltern immer wieder vorhielt, ließen sie sich eines Tages erweichen, gingen zu Aldi und ergatterten nach langem Anstehen ein Objekt meiner Begierde.

In den vier Jahren hatte sich eine Menge getan. Die Mäuler derer, die mich früher belächelten, gingen nur noch auf, um mich bei Computer-Angelegenheiten um Rat zu fragen. Insgeheim hatte ich nämlich schon 12 Monate, bevor ich überhaupt einen Computer hatte, die ComputerBild abonniert. Ich wurde ein Theorie-Computer-Freak, der all die schwierigen Wörter wie “Plag änd Pläi“, “Dairekt Iks 7” und so weiter schon kannte, bevor ich je mit der Sache zu tun hatte. Kaum war die Kiste da, konnte ich mit ihr umgehen. Meine Brüder jedoch sahen das ganze meist nur als Spielzeug an und rasten von einer Kurve zur anderen. Mir selbst waren Spiele stets nicht nur egal, ich betrachtete sie als gefährlichen Zeitdieb. Tue ich immer noch. Seit ZELDA auf meinem GameBoy habe ich mich von Spielen verabschiedet.

Der Umschwung

So kam es, dass ich den Gedanken fasste, mich nicht mehr in den Dienst anderer zu stellen, um mich für Arbeiten am Band ausbeuten zu lassen. 6,50 die Stunde ist nämlich pure Ausbeutung, heute umso mehr. Ich war mittlerweile auf einem Gymnasium mit Richtung Wirtschaft und hatte mit Herrn Ferchow einen recht guten Lehrer in BWL, und so  ging ich zu ihm mit der Idee, ein Gewerbe anzumelden, worauf er begeistert reagierte. Ich war jedoch erst 17, und damit nur beschränkt geschäftsfähig. Ich versuchte es trotzdem, ging zum Ordnungsamt, zahlte eine Gebühr und hatte auf einmal einen Gewerbeschein in der Tasche.

Ich gestaltete die ersten Flyer, druckte sie auf 80 Gramm Papier in Graustufen aus und verteilte sie mit den Zeitungen, die mittlerweile von meinen Brüdern ausgetragen wurden. Ich legte weitere in der gesamten Stadt aus und hatte innerhalb von 5 Tagen meinen ersten Auftrag, bei dem ich 12,50 verdiente, indem ich einer Dame den Weg ins Internet frei machte. Monat für Monat stieg die Anzahl der Aufträge im PC-Bereich, bis eine Freundin einen Artikel über mich in der städtischen Zeitung verfasste, bei der sie journalistisch angestellt war. Ab dem Zeitpunkt brummte der Computerservice PCproblemlos und ich hatte alle Hände voll zu tun. Aus 12,50 die Stunde waren 25 geworden, und immer noch hatte ich einen Haufen Arbeit, war Samstags von 8 – 20 Uhr unterwegs und hatte werktags nach der Schule mindestens 3 Aufträge am Tag.

Nach dem Abi

Ich wusste dennoch nicht, was ich nach dem Abi machen sollte. Um komplett alleine durchs Leben zu kommen, reichte es trotz der vielen Arbeit nicht, dazu war ich zu billig. Ich wollte aber für meine Kundschaft erschwinglich bleiben, da es mir wirklich riesigen Spaß bereitete, die Leute vor ihren Rechnern glücklich zu machen, so bescheuert das auch klingen mag. Wenn andere am PC froh waren, war ich das auch. Geld war in dem teuren Alter zwar wichtig, aber die Leidenschaft und der Spaß waren deutlich wichtiger für mich.

Glücklicherweise stellten sich eines Tages Leute aus der Berufsakademie Mosbach vor, die den Studiengang “Online-Medien” (damals Digitale Medien) vorstellten. Hierbei handelte es sich ganz grob darum, professionell und projekt-orientiert Multimedia am Computer zu erzeugen (Sound, Video, Websites & Co, etc.) Ich war sofort Feuer und Flamme und suchte mir einen Partner für das duale Studium. Nach dem Abi wollte ich jedoch noch kurz die Welt sehen und zog für drei Monate nach Neuseeland und Australien. Als ich wieder zurück kam, teilte man mir mit, dass mein Studienplatz bereits belegt sei und ich ein Jahr warten müsste. Kein Problem – ich überbrückte dieses Jahr als freier Mediengestalter in einer Firma, die mir die Wohnung (zum Teil) und einen Mietwagen bezahlte. Dort lernte ich zwei coole Typen kennen, die mich mitnahmen in die Welt von HTML, Typo3 & Co. Nur 6 Monate später war ich aber schon wieder raus und weiß bis heute nicht, wieso.

Das Studium

Als ich einige Zeit später rumsaß und mich fragte, ob das mit dem Studium noch was werden würde, klingelte Lidl auf meinem Handy und bat mich, auf ein Vorstellungsgespräch vorbeizukommen. Ich war erstaunt darüber, dass man meine Bewerbungsunterlagen ein Jahr aufbewahrt hatte und mich dann selbstständig einlud. Ich fuhr hin und kam dummerweise prompt eine halbe Stunde zu spät. Dennoch wurde ich genommen, während ca. 12 andere Bewerber es nicht schafften. So begann mein Studium an der BA Mosbach in Zusammenarbeit mit dem Discounter Lidl, für das ich bis Mitte 2011 die Web-Angelegenheiten für die europäischen Länder regelte.

Die Selbstständigkeit

Dann kam das Jahr 2010. Ich war seit kurzem mit meinem Studium fertig und hatte meinen Platz als Junior Consultant im Team, mit einem ordentlichen Gehalt. Dennoch fühlte ich mich immer wehmütig, wenn alte Kunden mich immer noch anriefen und mich um Computerhilfe baten. Da telefonieren offiziell verboten war, musste ich stets meinen AB abhören und zurückrufen, was auf die Dauer mich und die Kunden nervte. Wenn ich dann abends heimkam, was selten vor 18 Uhr war, wollte ich Ruhe und Zeit mit meiner Familie verbringen, hatte aber immer wieder noch Verpflichtungen aus meinem Computerservice zu regeln. Auf die Dauer war ich also stets beschäftigt und irgendjemand war immer unzufrieden, weil ich keine Zeit hatte. Wenn’s nicht die Frau war, dann war’s König Kunde.

Eines Tages klingelte mein Telefon wieder. Ein Freund, den ich vorher bei der Jugend-Ferien-Bibelschule kennengelernt hatte, fragte mich, ob ich Interesse an einem Kunden von ihm hatte. Er sei Schweizer und habe immer eine Menge im Web zu tun. “Klar“, sagte ich, bereute es aber im nächsten Moment wieder. Wie sollte ich den jetzt noch unterbringen? Zu alledem war meine Frau schwanger und wir erwarteten unser erstes Kind… also, wollte ich das wirklich? … “Klar“, sagte ich.

Der Partner

So entstand im Jahr 2012 eine geschäftliche Beziehung zu einem anderen Werbemenschen, der in der Schweiz eine Werbeagentur leitete. Wir verstanden uns trotz der sprachlichen Barrieren auf Anhieb gut. Manchmal rief er mich an, plapperte im schweizerdeutsch auf meinen AB und merkte erst 40 Sekunden später, nachdem das Meiste bereits gesagt war, dass ich jetzt wahrscheinlich nichts von alldem verstanden hatte. Ohne es in verständlichem Deutsch zu wiederholen, beendete er seinen Satz, so dass ich diesen noch verstehen konnte – und das war’s. Es war ein ständiges Rätselraten, was er jetzt wieder gemeint haben konnte, es war nicht einfach, aber auch etwas anderes war es nie: langweilig.

Die Aufträge aus der Schweiz häuften sich, bald schon managte ich die gesamte IT der anderen Agentur, die mir auch vertrauensvoll überlassen wurde. Wir waren mittlerweile Freunde geworden und mir gefiel die Zusammenarbeit. Was mir nicht gefiel, war der zeitliche Druck, unter den ich immer mehr kam. Für ein großes europäisches Unternehmen wie Lidl zu sorgen UND für sein eigenes Unternehmen zu arbeiten war auf Dauer nicht gut für meine Gesundheit, das merkte ich irgendwann, weil mich nur noch alles stresste. Anfang 2011 stellte ich mich dann selbst vor die Entscheidung:

Was willst du tun? Du kannst entweder das eine oder das andere machen, aber nicht mehr beides!

Ich entschloss mich nach endlosen Gesprächen mit meiner Frau und meiner Steuerberaterin dafür, den Weg in die Selbstständigkeit zu wagen, da ich bis dato immer genügend Aufträge erhalten hatte, die mich auch zukünftig über Wasser halten würden, wenn es so weiter ging. Nicht nur von Philipp, sondern auch aus der PC-Branche. Da ich mich mittlerweile aber mehr als Web-Entwickler sah, entschloss ich mich, auf dem Gebiet mit einer eigenen Web-Agentur selbstständig zu machen und gründete zaehlpixel.com.

Nun sind über drei Jahre vergangen. Die Geschäfte laufen gut, mit Platz nach oben – und über Langweile kann ich zu keinem Zeitpunkt klagen. Seit September 2013 habe ich mein eigenes Unternehmen um eine Person vergrößert: Timo, mein Student, hat angeheuert und wird von mir momentan zum Online-Medieninformatiker ausgebildet. An der DHBW in Mosbach erlernt er zudem weitere Dinge, die ich vor ihm auch schon durchgemacht habe.

Die Zukunft

Ich ruhe mich nun nicht in der Position aus, in der ich jetzt bin. So bin ich nicht und das war noch nie mein Fall. Jede Woche fallen mir neue Ideen ein. Den Brötchenservice habe ich zwar aufgegeben, aber ich werde sie  eines Tages noch finden… die Idee mit Durchschlagskraft, die mich von den Socken haut. Irgendwie bin ich davon fest überzeugt.

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5 Kommentare

  1. Daniel

    Wenn ich diesen Artikel lese, denke ich: “Toll! Eine schöne Karriere.”
    Ich selbst bin Erzieher, dazu noch allein erziehend.
    Letztes Jahr in den Herbstferien besuchte ich einen alten Schulfreund.
    Er arbeitet im IT-Bereich, ebenfalls eine gute Karriere, Frau, Haus, Kinder und ein gutes Gehalt.
    Wenn ich mir nicht irgendwann mal vorgenommen hätte, auf NIEMANDEN neidisch zu sein, dann wäre ich es jetzt auf Leute, die in diesem Bereich arbeiten.
    Ich selbst erziehe fremde Kinder und muss jeden Pfennig umdrehen. Leute, die am (und mit dem) Computer arbeiten, haben vermutlich meist ein angenehmeres Arbeitsklima (wer das nicht glaubt, muss mal direkt nach dem Mittagessen in einen Kindergarten gehen!) und wohl auch weniger Verantwortung.
    Dennoch scheint diese Arbeit wesentlich besser bezahlt zu sein.
    Nun, neidisch bin ich nicht. Aber nachdenklich: Anscheinend ist es in unserer Gesellschaft wichtiger, dass eine Website läuft als dass es unseren Kindern gut geht. Ich habe auch schon in der Jugendgilfe und im Grundschulbereich gearbeitet und meine Vermutung bestätigt sich immer mehr. Ein Kind ist weniger wert. Und unsere kapitalistisch denkende Gesellschaft sieht den Wert eines Menschen nur in Zahlen heutzutage.
    Ein Blick hinter die Kulissen der Altersheime spricht da Bände.
    Traurig und erschreckend.

    Trotz dieser Erkenntnis werde ich weiter in meinem Bereich arbeiten, so lange mir Gott dazu die Kraft gibt. (Als alleinerziehender Vater Vollzeit zu arbeiten mit einem behinderten Kind braucht eine Menge Kraft.)
    😉

    • Danke für die Einblicke und die ehrlichen Worte, die du aussprichst. Ich stimme dem zu, in unserer Gesellschaft liegt manches im Argen. Nicht nur, dass der einzelne Mensch, sobald er nicht mehr “Geld erzeugen” kann, drastisch an Wert verliert. Zuletzt habe ich vor allem vom deutschen Volk gelesen, dass es weltweit auf Platz 27 liegt, wenn es um Spenden geht, obwohl es uns so gut geht wie fast keinem anderen europäischen Land. Finanziell gesehen.
      Schon merkwürdig.

    • wieder Daniel

      Gestern Abend hat meine Tochter fern gesehen. Sie hat sich Lillifee angemacht. Ist ja für Kinder wie wohl jeder weiß. Einigermaßen kitschig mit viel rosa. Als ich gerade im Wohnzimmer war, wollte Lillifee gerade etwas sehr kostbares weitergeben/verschenken. Ein Frosch lehnte ab. Er sagte, dass je weniger man hat, desto freier sei man. Und er liebe seine Freiheit.
      Das blieb bei mir hängen. Und ich musste nochmal an diesen Text hier denken: Je mehr man im Leben hat, desto mehr ist man ja auch irgendwie eingeschränkt.
      Ich habe mir letztes Jahr ein Haus an der Küste gekauft. Und es ist ein schönes Gefühl ein Haus sein Eigen zu nennen. (Obwohl mir wohl bislang kaum mehr als die Haustür oder ein Fenster gehört- den Rest muss ich ja noch abbezahlen!)
      Freunde und Verwandte beneiden mich schon etwas, weil ich “nur” einen Kilometer bis zum Strand laufen muss. Müsste.
      Und dennoch habe ich (im Anflug innerer Unruhe) schon einige Male gedacht “Wenn ich dieses Haus nicht hätte, dann könnte ich jetzt wegziehen und mir woanders was anderes suchen”.

      So hat alles seine Vor- und Nachteile.

    • Sehr richtig. Weise Menschen streben nicht nach mehr Materialismus, sondern nach weniger. Ich kann das ganz praktisch nachvollziehen. Ich bin jemand, der auf neue Technik steht. Also kaufe ich mir alle zwei Jahre ein neues iPhone. Aber bei der Einrichtung des Gerätes gehen immer mehrere Stunden, manchmal sogar Tage drauf. Zeit, die mir fehlt! Freiheit, die ich abgebe.

      Lieber weniger haben und freier sein. Aber was nützen all die Worte, wenn man es nicht auch lebt?

  2. Pingback: Die Arbeit: Alles nur ein Haschen nach Wind?